Künstler am Ammersee

Am 28. Juni 2020 sprach die Journalistin Marie Waldburg über „Künstler am Ammersee“. Musikalisch begleitet wurde die Lesung von Silke Hohagen (Gesang) und Katja Brandl Köhlen (Klavier). Den Rahmen für die Veranstaltung bildete die Ausstellung „Weltenraum“ mit Arbeiten des Malers Jan Davidoff. Folgen Sie Marie Waldburgs Streifzug durch die Geschichte der Kunst in der Ammerseeregion.

Als Tochter eines Kunsthistorikers und aufgewachsen in der Idylle des Allgäu wurde ich schon früh in nahezu allen Kirchen der Oberschwäbischen Barockstraße und Museen der Region über Historie und Kunstformen aufgeklärt und fand das sehr spannend. Später unterbrach der Alltag als People-Journalistin über 40 Jahre lang diese zunächst große Leidenschaft und anstatt zu hinterfragen, warum wer wie und wo malt und arbeitet, waren Themen wie George Clooneys Frauen, Oscarverleihungen in Hollywood oder Prominentenpartys quer durch die Welt vorrangig. Leider. Aber es ist ja auch, sogar in meinem Alter nie zu spät, was Neues oder lange Verborgenes wieder zu entdecken oder wach zu rütteln. Die Natur, die Kunst, die Stille, das Kontemplative, vielleicht gab oder gibt uns ja auch Corona eine Chance dazu.

Der andere Davidoff

Leicht verdorben durch den Job, dachte ich beim Namen Jan Davidoff zunächst an einen Nachfahren des großen Zigarrenkönigs Zino Davidoff, den ich mal interviewen durfte, und wurde bald eines Besseren belehrt. In den Münchner Galerien Thomas Modern oder Andreas Binder und auch in seinem Haus bei Schondorf, das er so vorbildlich restauriert hat, studierte ich seine eindrucksvollen Arbeiten, in denen die Natur neben dem Abstrakten auch eine große Rolle spielt.

Lesung mit Musik im studioRose am Ammersee
Von links: Jan Davidoff, Marie Waldburg, Katja Brandl Köhlen, Silke Hohagen, Dr. Silvia Dobler

Der See als Inspiration: Da ist Jan Davidoff, der schon in aller Welt ausstellte, in bester Gesellschaft. Denn wer alles in der Vergangenheit und noch heute am Ammersee malte und malt, schrieb, komponierte und dichtete, klingt wie ein Who is who der Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte. Die Parallele zu Jan Davidoff und Vorgängern wie Wilhelm Leibl, Wilhelm von Kobell, Franz von Defregger oder Eduard Thöny: Sie alle waren schon weitgereist und spürten die Sehnsucht nach einem malerischen Ort, um ungestört arbeiten zu können. Der Blick auf den See und die Alpen, die Andechser Wallfahrtskirche im Abendrot, satte Wiesen und Felder, die unaufgeregte Atmosphäre, von all dem schwärmen die Menschen, die einmal hier waren. Es ist eine unvergleichliche Kulisse.

Während der Starnberger See etwas mondän die See-Feste der Wittelsbacher feierte, war der Ammersee stets mehr Oase der Künstler, mehr Ruhepol, das Westufer offenbar inspirierender als das Ostufer – nur Georg Baselitz, der hier gegenüber bei Buch ein großes Atelier besitzt, wählte die andere Seite.

Wilhelm von Kobell als Vorreiter

Der wichtigste Vorreiter der Ammersee-Künster war zweifellos Wilhelm von Kobell, der die Mannheimer Maler-Hochburg verließ, um das damals noch künstlerisch unbedeutende München zu erobern. Mit Marianne von Krempelhuber, der Tochter des Landesdirektionsrats, heiratete er eine durchaus weiterbringende Frau und verbrachte die Sommermonate gern auf dem Schloß Emming seines Schwiegervaters, wo heute das Kloster St. Ottilien steht. Von hier aus durchstreifte er die malerische Gegend, es entstanden ab 1815 Bilder wie „Bauernwagen vor Schondorf“ – ein Haus und das Jakobskirchlein, mehr nicht – zeugten von der Abgeschiedenheit des Dorfes, sowie weitere Landschaften am Ammersee und der Reiter vor Schloß Greifenberg. Erst später zog er wieder nach München, wurde Professor und Nachfolger von Johann Georg von Dillis an der Akademie der schönen Künste, eine Position, die er, ehrgeizig wie er war, stets angestrebt hat.

Jugendstil und „Die Scholle“

90 Jahre später erfuhr der Ammersee eine erneute Renaissance. So entstand in dörflicher Abgeschiedenheit in der weitläufigen Sommerlandschaft am Ufer die Künstlerkolonie Holzhausen, ab 1900 genossen Ludwig Thoma, Olaf Gulbransson oder Thomas Theodor Heine dieses ungezwungene Künstlerleben. Gemeinsame Ausstellungen in der Landschafts- und Porträtmalerei sowie ausgelassene Künstlerfeste bestimmten das Leben. Zu gern wäre man da dabei gewesen. Es entstanden Künstlergruppen wie „Die Scholle“, Vorreiter der legendären „Blauen Reiter“. Die Erneuerung von Kunst und künstlerischem Leben betrieben vor allem Mathias und Anna Sophie Gasteiger, wichtige Vertreter des Jugendstils. Ihr Haus inmitten eines kunstvoll inszenierten Bauerngartens in Holzhausen habe ich immer noch nicht besucht. Aber es ist nie zu spät.

Wilhelm Leibl und seine Resi

Um an den Ammersee zu kommen, war den Künstlern von damals kein Weg zu weit. So reiste Wilhelm Leibl, einer der bedeutendsten Maler des Realismus, so wie Bertolt Brecht mit dem sogenannten Badezug an den See und stapfte die gut 7 Kilometer von Türkenfeld in eineinhalb Stunden zu Fuß nach Schondorf, weil es noch keine Bahnverbindung gab. Er, der so wunderbare Bilder wie die „drei Frauen in der Kirche“, „das ungleiche Paar“ und großartige Bauern-Porträts malte – für einige Quadratzentimeter Bild brauchte er oft einen ganzen Monat – und ein Bär von einem Mann war, hatte eine harte Schale und einen sensiblen Kern. Als er sich in die Schondorfer Wirtstochter Theresia Bauer vom Gasthaus zur Post verliebte, war er Feuer und Flamme, und als der gemeinsame Sohn neun Monate nach seiner Geburt starb, war er so sterbensunglücklich, dass ihn Freunde kaum aufrichten konnten. „Resi“ hätte ihn ja auch nach der Tragödie weitergeliebt, aber der sinnliche Mann machte den Fehler, eines Tages mit einer Kokotte – man kannte sich von früher – ins Gasthaus ihres Vaters einzukehren. Die Schondorfer waren empört über soviel Stilbruch und mieden den Mann fortan. Er blieb nicht mehr lange und zog fort. Der weltgewandte Leibl, der früher immerhin mit Eduard Manet und Gustave Courbet in Paris arbeitete und die beiden berühmten Franzosen für die große Kunstausstellung in den Münchner Glaspalast gewinnen konnte, war plötzlich privat auf dem Land gescheitert, wegen einer Frau. Sein Bild „Das ungleiche Paar“ mit einem Greis und einer jungen Frau war, so sagt man, die Rache an Resi, die nach der Tragödie einen gstandenen und viel Älteren Anderen heiratete.

Max Liebermann, ein nicht minder berühmter Malerkollege erinnerte sich: „Ich sah den riesenstarken Mann, der zwei Bauern, in jedem seiner Arme einen, aus der Kneipe werfen konnte, nach zweistündiger Arbeit in Schweiß gebadet und ganz in sich und seine Malerei versunken, nur bei der Arbeit und in ihr war er Leibl, sonst mehr einem Jäger als einem Maler gleichend.“

Der Maler und der Schriftsteller

Einem Jäger, aha. Einem Jäger in jeder Beziehung. Da lag es nahe, dass er irgendwann auch den Schriftsteller Anton von Perfall aus Schloß Greifenberg kennenlernte, den er auch so eindrucksvoll mit Hund porträtiert hat – die Kopie hängt kurz vorm Dampfersteg und den Hund schenkte ihm der Baron danach. Perfall, Dichter von Jagdschriften und romantischen Büchern, saß mit Leibl oft zusammen – man verstand sich. Sprach über Kunst, Literatur und Theater, das Onkel Max von Perfall als Intendant des schönen Prinzregententheaters prägte, oder über Anekdoten z.b. über den historischen Richterstuhl im Schlosspark oder über Napoleon, der mit seinen Soldaten im Schloß abgestiegen sein soll, noch heute erinnern Haken in der sogenannten Remise an die vielen Uniformen. Leibl und Perfall hatten eine für jene Zeit auf jeden Fall ungewöhnlich unkonventionelle Art mit Frauen: So verliebte sich der eine in eine Wirtstochter und der Andere gleich in zwei Schauspielerinnen, die zweite heiratete er. Perfall damals: „Wie so oft bin ich erschöpft vom Leben und finde erst am See wieder meine Ruhe.“ Meine Schwägerin Manuela von Perfall, die viele Bücher schrieb, und ihr Mann, der Maler Ali Nasseri, beide unvergessen, führten das künstlerische Erbe fort.

Carl Orff und Werner Egck

Kleiner Zeitensprung wegen der Musikeinlage. Auch Musik klang, gewaltig und kraftvoll, über den See. 1919 zog Komponist Hans Pfitzner nach Unterschondorf, war vorübergehend Dirigent der Münchner Philharmoniker. Gut möglich, dass seine romantische Kantate „Von deutscher Seele“ nach Gedichten von Joseph von Eichendorff nur hier, in dieser Idylle entstehen konnte. Im höchstgelegenen Haus von Inning komponierte Werner Egk Opern wie „Peer Gynt“ und „Die Zaubergeige“ und machte aus seinem Namen Mayer kurzerhand Egk, was soviel wie ein guter Komponist heisst. Ganz schön selbstbewusst. Und dann schließlich die weltberühmten Kompositionen wie die Carmina Burana von Carl Orff, der ab 1955 im Stadtteil St. Georgen von Diessen wirkte. Hollywood-Regisseure wie Stanley Kubrick und Terence Malick wollten Orff für ihre Filmmusik gewinnen, Jean Pierre Ponnelle drehte einen Film nach Carmina Burana, in Pekings Verbotener Stadt ging erst vor zwei Jahren die sicher spektakulärste Aufführung über die Bühne. Vor Kloster Andechs, wo Orff begraben ist, lockten bis vor fünf Jahren die Carl Orff Spiele Tausende an den See und im Diessener Museum lässt sich die breite Palette seines Wirkens bewundern. Aus Frieding bei Andechs konnte man auch den zauberhaften Musikstücken von Star-Cellist Jan Polasek lauschen.

Zwei rote Bulldoggen

Zurück zur Jahrhundertwende: Auch der Simplicissimus, eine Strömung und ein gleichnamiges politkritisches Heft, hielt Einzug am malerischen See. Der gebürtige Brixener Eduard Thöny bezog ein wunderschönes Holzhaus in Holzhausen und gewann Autoren wie Thomas und Heinrich Mann, Frank Wedekind, Knut Hamsun und viele mehr für das Heft, für das er wunderbare Illustrationen fertigte. 3000 Zeichnungen insgesamt. Thöny erfand die sogenannte Gesellschaftskarikatur, verband Eleganz mit Demimonde, gestaltete die Cover von Oscar Maria Grafs „Bayerischem Lesebücherl“ und Ludwig Thomas berühmten „Filserbriefen.“ Noch heute erinnern zwei rote Bulldoggen vor Heines Haus in Diessen an die erfolgreiche Ära. Die Bulldogge an der schweren Kette war das Markenzeichen des Simplicissimus. Thöny schlug sich später auf die Seite der Nationalsozialisten, wurde enger Freund der Spitze und bereute das später sehr. Der Dichter Albrecht Haushofer indes, der den Hartschimmelhof in Pähl bewohnte, sagte sich bewusst los vom Regime, wurde verhaftet und ermordet. Seine „Moabiter Sonnette“ erinnern an die furchtbare Zeit seiner Verhaftung.

Große Kunst und kleine Kunst. Mit Enten, die er zuhauf auf dem Ammersee fand, wurde Alexander Koester weltberühmt und gewann sogar eine Goldmedaille bei der Weltausstellung in San Louis. Und einer, der das Malen nie gelernt hat, aber von den Farben der Landschaft, den Kirchen, dem See und den Bergen fasziniert war, bekam posthum großen Zuspruch: Max Raffler aus Greifenberg hielt die Szenen naiv-kindlich fest, seine Bilder von Prozessionen, Kirchen und Dörfern wurden zum Objekt der Sammlerbegierde. Ich kenne eine Österreicherin, die ein ganzes Haus für seine Bilder gebaut hat und in der Autobahnkapelle von Windach lässt sich Rafflers Kreuzweg nach wie vor bewundern, in Amsterdam bekam er dafür den 2. Preis. Ein Jammer. Es gäbe viel mehr Originale, aber der „Maler mit dem Heiligen Herzen“, wie er gern genannt wurde, der nur abends nach der Feldarbeit seine Wachsmalfarben rausholte und mit Wasser mischte, verbrannte vieles im Ofen der Küche, weil zu wenig Platz da war.

Der inspirierende Ammersee

Wie inspirierend der Ammersee ist, entdeckten jüngst auch Schauspieler wie Heino Ferch, Axel Milberg und Hannes Jaenicke. Besser am ruhigen Ufer neue Rollen lernen als unweit der lauten Münchner Leopoldstraße. Thomas Gottschalk hatte in Inning die sicher beste Zeit seines Lebens und Nana Dix, Enkelin des berühmten Malers Otto Dix, verwandelte das Greifenberger Warmbad in eine Kunst-Oase. Ja lieber Jan, Du siehst, Du bist in bester Künstler-Gesellschaft. Du arbeitest hier und in Deinem Atelier in München. Nicht, dass Du mal in paar Jahren das wiederholen musst, was der ebenfalls hier arbeitende Maler und Schriftsteller Th. Th. Heine schon 1918 bemerkte: „Auf dem Land kommt man vor lauter Idylle zu nichts und in der Stadt vor lauter Weltgeschichte.“

Marie Waldburg im studioRose, Schondorf am Ammersee
Marie Waldburg

Herzlichen Dank an Kuratorin Silvia Dobler, die am 17. Juli eine große Raffler-Ausstellung im Atelier Rose eröffnet, für einen wunderbaren Stich von Paul Paede. Den Künstler, der in München und im Stürzerhaus von Schondorf lebte, habe ich in meinem Vortrag fälschlicherweise unterschlagen. Dabei ist der deutsche Impressionist und Freund von Lovis Corinth einer der besten Botschafter vom Ammersee: Seine Uferansichten von Breitbrunn und Schondorf sowie der Windach bestechen mit ihrem starken Spiel aus Licht, Schatten und flirrenden Farben. Der weibliche Akt, den ich netterweise bekam und nun rahmen lasse, zeigt Paedes Frau Olga, es war sein Lieblingsmodell.

Marie Waldburg, 28. Juni 2020